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Insolvenzverfahren England oder Frankreich: Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren
- Index EU Insolvenz- Insolvenzverfahren in England oder Frankreich
- Gebühren und Dienstleistungen Insolvenzverfahren in England
- Unternehmer Insolvenz
- Grundsätzliche Überlegungen bei der Gründung einer Offshore Firma- Firmengründung im Ausland
- Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), Betriebsstättenbegriff
- Mutter und Tochtergesellschaften in der Europäischen Union (EU-Mutter-Tochter-Richtlinie) und EU Fusionsrichtlinie
- Deutsches Außensteuerrecht (§ 7-14 AStG)
- Rangliste der Steueroasen-Steuern im Ausland – Exposee Rangliste Steuermodelle




Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –
gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft,
insbesondere auf Artikel 61 Buchstabe c) und Artikel 67 Absatz 1,
auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1),
nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) Die Europäische Union hat sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt.
(2) Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sind effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren erforderlich; die Annahme dieser Verordnung ist zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlich, das in den Bereich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen im Sinne des Artikels 65 des Vertrags fällt.
(3) Die Geschäftstätigkeit von Unternehmen greift mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinaus und unterliegt damit in zunehmendem Maß den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts. Da die Insolvenz solcher Unternehmen auch nachteilige Auswirkungen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes hat, bedarf es eines gemeinschaftlichen Rechtsakts, der eine Koordinierung der Maßnahmen in Bezug auf das Vermögen eines zahlungsunfähigen Schuldners vorschreibt.
(4) Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes muss verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. „forum shopping“).
(5) Diese Ziele können auf einzelstaatlicher Ebene nicht in hinreichendem Maß verwirklicht werden, so dass eine Maßnahme auf Gemeinschaftsebene gerechtfertigt ist.
(6) Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten.
(7) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren sind vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(3) in der durch die Beitrittsübereinkommen zu diesem Übereinkommen(4) geänderten Fassung ausgenommen.
(8) Zur Verwirklichung des Ziels einer Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung ist es notwendig und angemessen, die Bestimmungen über den Gerichtsstand, die Anerkennung und das anwendbare Recht in diesem Bereich in einem gemeinschaftlichen Rechtsakt zu bündeln, der in den Mitgliedstaaten verbindlich ist und unmittelbar gilt.
(9) Diese Verordnung sollte für alle Insolvenzverfahren gelten, unabhängig davon, ob es sich beim Schuldner um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann oder eine Privatperson handelt. Die Insolvenzverfahren, auf die diese Verordnung Anwendung findet, sind in den Anhängen aufgeführt. Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen, Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, die Gelder oder Wertpapiere Dritter halten, sowie von Organismen für gemeinsame Anlagen sollten vom Geltungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sein. Diese Unternehmen sollten von dieser Verordnung nicht erfasst werden, da für sie besondere Vorschriften gelten und die nationalen Aufsichtsbehörden teilweise sehr weitgehende Eingriffsbefugnisse haben.
(10) Insolvenzverfahren sind nicht zwingend mit dem Eingreifen eines Gerichts verbunden. Der Ausdruck „Gericht“ in dieser Verordnung sollte daher weit ausgelegt werden und jede Person oder Stelle bezeichnen, die nach einzelstaatlichem Recht befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Damit diese Verordnung Anwendung findet, muss es sich aber um ein Verfahren (mit den entsprechenden Rechtshandlungen und Formalitäten) handeln, das nicht nur im Einklang mit dieser Verordnung steht, sondern auch in dem Mitgliedstaat der Eröffnung des Insolvenzverfahrens offiziell anerkannt und rechtsgültig ist, wobei es sich ferner um ein Gesamtverfahren handeln muss, das den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge hat.
(11) Diese Verordnung geht von der Tatsache aus, dass aufgrund der großen Unterschiede im materiellen Recht ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die gesamte Gemeinschaft nicht realisierbar ist. Die ausnahmslose Anwendung des Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung würde vor diesem Hintergrund häufig zu Schwierigkeiten führen. Dies gilt etwa für die in der Gemeinschaft sehr unterschiedlich ausgeprägten Sicherungsrechte. Aber auch die Vorrechte einzelner Gläubiger im Insolvenzverfahren sind teilweise völlig verschieden ausgestaltet. Diese Verordnung sollte dem auf zweierlei Weise Rechnung tragen: Zum einen sollten Sonderanknüpfungen für besonders bedeutsame Rechte und Rechtsverhältnisse vorgesehen werden (z. B. dingliche Rechte und Arbeitsverträge). Zum anderen sollten neben einem Hauptinsolvenzverfahren mit universaler Geltung auch innerstaatliche Verfahren zugelassen werden, die lediglich das im Eröffnungsstaat belegene Vermögen erfassen.
(12) Diese Verordnung gestattet die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dieses Verfahren hat universale Geltung mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen. Zum Schutz der unterschiedlichen Interessen gestattet diese Verordnung die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren parallel zum Hauptinsolvenzverfahren. Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat. Seine Wirkungen sind auf das in dem betreffenden Mitgliedstaat belegene Vermögen des Schuldners beschränkt. Zwingende Vorschriften für die Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren tragen dem Gebot der Einheitlichkeit des Verfahrens in der Gemeinschaft Rechnung.
(13) Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.
(14) Diese Verordnung gilt nur für Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in der Gemeinschaft liegt.
(15) Die Zuständigkeitsvorschriften dieser Verordnung legen nur die internationale Zuständigkeit fest, das heißt, sie geben den Mitgliedstaat an, dessen Gerichte Insolvenzverfahren eröffnen dürfen. Die innerstaatliche Zuständigkeit des betreffenden Mitgliedstaats muss nach dem Recht des betreffenden Staates bestimmt werden.
(16) Das für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständige Gericht sollte zur Anordnung einstweiliger Sicherungsmaßnahmen ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Verfahrenseröffnung befugt sein. Sicherungsmaßnahmen sowohl vor als auch nach Beginn des Insolvenzverfahrens sind zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Insolvenzverfahrens von großer Bedeutung. Diese Verordnung sollte hierfür verschiedene Möglichkeiten vorsehen. Zum einen sollte das für das Hauptinsolvenzverfahren zuständige Gericht vorläufige Sicherungsmaßnahmen auch über Vermögensgegenstände anordnen können, die im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten belegen sind. Zum anderen sollte ein vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens bestellter vorläufiger Insolvenzverwalter in den Mitgliedstaaten, in denen sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, die nach dem Recht dieser Mitgliedstaaten möglichen Sicherungsmaßnahmen beantragen können.
(17) Das Recht, vor der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, zu beantragen, sollte nur einheimischen Gläubigern oder Gläubigern der einheimischen Niederlassung zustehen beziehungsweise auf Fälle beschränkt sein, in denen das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nicht zulässt. Der Grund für diese Beschränkung ist, dass die Fälle, in denen die Eröffnung eines Partikularverfahrens vor dem Hauptinsolvenzverfahren beantragt wird, auf das unumgängliche Maß beschränkt werden sollen. Nach der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens wird das Partikularverfahren zum Sekundärverfahren.
(18) Das Recht, nach der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, zu beantragen, wird durch diese Verordnung nicht beschränkt. Der Verwalter des Hauptverfahrens oder jede andere, nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats dazu befugte Person sollte die Eröffnung eines Sekundärverfahrens beantragen können.
(19) Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann neben dem Schutz der inländischen Interessen auch anderen Zwecken dienen. Dies kann der Fall sein, wenn das Vermögen des Schuldners zu verschachtelt ist, um als ganzes verwaltet zu werden, oder weil die Unterschiede in den betroffenen Rechtssystemen so groß sind, dass sich Schwierigkeiten ergeben können, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung seine Wirkung in den anderen Staaten, in denen Vermögensgegenstände belegen sind, entfaltet. Aus diesem Grund kann der Verwalter des Hauptverfahrens die Eröffnung eines Sekundärverfahrens beantragen, wenn dies für die effiziente Verwaltung der Masse erforderlich ist.
(20) Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren können jedoch nur dann zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen, wenn die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden. Wesentliche Voraussetzung ist hierzu eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter, die insbesondere einen hinreichenden Informationsaustausch beinhalten muss. Um die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens sicherzustellen, sollten dem Verwalter dieses Verfahrens mehrere Einwirkungsmöglichkeiten auf gleichzeitig anhängige Sekundärinsolvenzverfahren gegeben werden. Er sollte etwa einen Sanierungsplan oder Vergleich vorschlagen oder die Aussetzung der Verwertung der Masse im Sekundärinsolvenzverfahren beantragen können.
(21) Jeder Gläubiger, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in der Gemeinschaft hat, sollte das Recht haben, seine Forderungen in jedem in der Gemeinschaft anhängigen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners anzumelden. Dies sollte auch für Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger gelten. Im Interesse der Gläubigergleichbehandlung muss jedoch die Verteilung des Erlöses koordiniert werden. Jeder Gläubiger sollte zwar behalten dürfen, was er im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erhalten hat, sollte aber an der Verteilung der Masse in einem anderen Verfahren erst dann teilnehmen können, wenn die Gläubiger gleichen Rangs die gleiche Quote auf ihre Forderung erlangt haben.
(22) In dieser Verordnung sollte die unmittelbare Anerkennung von Entscheidungen über die Eröffnung, die Abwicklung und die Beendigung der in ihren Geltungsbereich fallenden Insolvenzverfahren sowie von Entscheidungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Insolvenzverfahren ergehen, vorgesehen werden. Die automatische Anerkennung sollte somit zur Folge haben, dass die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, auf alle übrigen Mitgliedstaaten ausgedehnt werden. Die Anerkennung der Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten sollte sich auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stützen. Die zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung sollten daher auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein. Nach diesem Grundsatz sollte auch der Konflikt gelöst werden, wenn sich die Gerichte zweier Mitgliedstaaten für zuständig halten, ein Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. Die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts sollte in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden; diese sollten die Entscheidung dieses Gerichts keiner Überprüfung unterziehen dürfen.
(23) Diese Verordnung sollte für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sollte das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex concursus) Anwendung finden. Diese Kollisionsnorm sollte für Hauptinsolvenzverfahren und Partikularverfahren gleichermaßen gelten. Die lex concursus regelt alle verfahrensrechtlichen wie materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die davon betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse; nach ihr bestimmen sich alle Voraussetzungen für die Eröffnung, Abwicklung und Beendigung des Insolvenzverfahrens.
(24) Die automatische Anerkennung eines Insolvenzverfahrens, auf das regelmäßig das Recht des Eröffnungsstaats Anwendung findet, kann mit den Vorschriften anderer Mitgliedstaaten für die Vornahme von Rechtshandlungen kollidieren. Um in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Verfahrenseröffnung Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten eine Reihe von Ausnahmen von der allgemeinen Vorschrift vorgesehen werden.
(25) Ein besonderes Bedürfnis für eine vom Recht des Eröffnungsstaats abweichende Sonderanknüpfung besteht bei dinglichen Rechten, da diese für die Gewährung von Krediten von erheblicher Bedeutung sind. Die Begründung, Gültigkeit und Tragweite eines solchen dinglichen Rechts sollten sich deshalb regelmäßig nach dem Recht des Belegenheitsorts bestimmen und von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt werden. Der Inhaber des dinglichen Rechts sollte somit sein Recht zur Aus- bzw. Absonderung an dem Sicherungsgegenstand weiter geltend machen können. Falls an Vermögensgegenständen in einem Mitgliedstaat dingliche Rechte nach dem Recht des Belegenheitsstaats bestehen, das Hauptinsolvenzverfahren aber in einem anderen Mitgliedstaat stattfindet, sollte der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in dem Zuständigkeitsgebiet, in dem die dinglichen Rechte bestehen, beantragen können, sofern der Schuldner dort eine Niederlassung hat. Wird kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet, so ist der überschießende Erlös aus der Veräußerung der Vermögensgegenstände, an denen dingliche Rechte bestanden, an den Verwalter des Hauptverfahrens abzuführen.
(26) Ist nach dem Recht des Eröffnungsstaats eine Aufrechnung nicht zulässig, so sollte ein Gläubiger gleichwohl zur Aufrechnung berechtigt sein, wenn diese nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht möglich ist. Auf diese Weise würde die Aufrechnung eine Art Garantiefunktion aufgrund von Rechtsvorschriften erhalten, auf die sich der betreffende Gläubiger zum Zeitpunkt der Entstehung der Forderung verlassen kann.
(27) Ein besonderes Schutzbedürfnis besteht auch bei Zahlungssystemen und Finanzmärkten. Dies gilt etwa für die in diesen Systemen anzutreffenden Glattstellungsverträge und Nettingvereinbarungen sowie für die Veräußerung von Wertpapieren und die zur Absicherung dieser Transaktionen gestellten Sicherheiten, wie dies insbesondere in der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen(5) geregelt ist. Für diese Transaktionen soll deshalb allein das Recht maßgebend sein, das auf das betreffende System bzw. den betreffenden Markt anwendbar ist. Mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, dass im Fall der Insolvenz eines Geschäftspartners die in Zahlungs- oder Aufrechnungssystemen oder auf den geregelten Finanzmärkten der Mitgliedstaaten vorgesehenen Mechanismen zur Zahlung und Abwicklung von Transaktionen geändert werden können. Die Richtlinie 98/26/EG enthält Sondervorschriften, die den allgemeinen Regelungen dieser Verordnung vorgehen sollten.
(28) Zum Schutz der Arbeitnehmer und der Arbeitsverhältnisse müssen die Wirkungen der Insolvenzverfahren auf die Fortsetzung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie auf die Rechte und Pflichten aller an einem solchen Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien durch das gemäß den allgemeinen Kollisionsnormen für den Vertrag maßgebliche Recht bestimmt werden. Sonstige insolvenzrechtliche Fragen, wie etwa, ob die Forderungen der Arbeitnehmer durch ein Vorrecht geschützt sind und welchen Rang dieses Vorrecht gegebenenfalls erhalten soll, sollten sich nach dem Recht des Eröffnungsstaats bestimmen.
(29) Im Interesse des Geschäftsverkehrs sollte auf Antrag des Verwalters der wesentliche Inhalt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung in den anderen Mitgliedstaaten bekannt gemacht werden. Befindet sich in dem betreffenden Mitgliedstaat eine Niederlassung, so kann eine obligatorische Bekanntmachung vorgeschrieben werden. In beiden Fällen sollte die Bekanntmachung jedoch nicht Voraussetzung für die Anerkennung des ausländischen Verfahrens sein.
(30) Es kann der Fall eintreten, dass einige der betroffenen Personen tatsächlich keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung haben und gutgläubig im Widerspruch zu der neuen Sachlage handeln. Zum Schutz solcher Personen, die in Unkenntnis der ausländischen Verfahrenseröffnung eine Zahlung an den Schuldner leisten, obwohl diese an sich an den ausländischen Verwalter hätte geleistet werden müssen, sollte eine schuldbefreiende Wirkung der Leistung bzw. Zahlung vorgesehen werden.
(31) Diese Verordnung sollte Anhänge enthalten, die sich auf die Organisation der Insolvenzverfahren beziehen. Da diese Anhänge sich ausschließlich auf das Recht der Mitgliedstaaten beziehen, sprechen spezifische und begründete Umstände dafür, dass der Rat sich das Recht vorbehält, diese Anhänge zu ändern, um etwaigen Änderungen des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten Rechnung tragen zu können.
(32) Entsprechend Artikel 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, haben das Vereinigte Königreich und Irland mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten.
(33) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung, die diesen Mitgliedstaat somit nicht bindet und auf ihn keine Anwendung findet –
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN: KAPITEL I – ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN
Artikel 1- Anwendungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben.
(2) Diese Verordnung gilt nicht für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen oder Kreditinstituten, von Wertpapierfirmen, die Dienstleistungen erbringen, welche die Haltung von Geldern oder Wertpapieren Dritter umfassen, sowie von Organismen für gemeinsame Anlagen.
Artikel 2 – Definitionen
Für die Zwecke dieser Verordnung bedeutet
- „Insolvenzverfahren“ die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Gesamtverfahren. Diese Verfahren sind in Anhang A aufgeführt;
- „Verwalter“ jede Person oder Stelle, deren Aufgabe es ist, die Masse zu verwalten oder zu verwerten oder die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen. Diese Personen oder Stellen sind in Anhang C aufgeführt;
- „Liquidationsverfahren“ ein Insolvenzverfahren im Sinne von Buchstabe a), das zur Liquidation des Schuldnervermögens führt, und zwar auch dann, wenn dieses Verfahren durch einen Vergleich oder eine andere die Insolvenz des Schuldners beendende Maßnahme oder wegen unzureichender Masse beendet wird. Diese Verfahren sind in Anhang B aufgeführt;
- „Gericht“ das Justizorgan oder jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen oder im Laufe des Verfahrens Entscheidungen zu treffen;
- „Entscheidung“, falls es sich um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Bestellung eines Verwalters handelt, die Entscheidung jedes Gerichts, das zur Eröffnung eines derartigen Verfahrens oder zur Bestellung eines Verwalters befugt ist;
- „Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung“ den Zeitpunkt, in dem die Eröffnungsentscheidung wirksam wird, unabhängig davon, ob die Entscheidung endgültig ist;
- „Mitgliedstat, in dem sich ein Vermögensgegenstand befindet“, im Fall von
- körperlichen Gegenständen den Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand belegen ist,
- Gegenständen oder Rechten, bei denen das Eigentum oder die Rechtsinhaberschaft in ein öffentliches Register einzutragen ist, den Mitgliedstaat, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird,
- Forderungen den Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zur Leistung verpflichtete Dritte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 hat;
- „Niederlassung“ jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt.
Artikel 3 – Internationale Zuständigkeit
(1) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.
(2) Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaats, so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat. Die Wirkungen dieses Verfahrens sind auf das im Gebiet dieses letzteren Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt.
(3) Wird ein Insolvenzverfahren nach Absatz 1 eröffnet, so ist jedes zu einem späteren Zeitpunkt nach Absatz 2 eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren. Bei diesem Verfahren muss es sich um ein Liquidationsverfahren handeln.
(4) Vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Absatz 1 kann ein Partikularverfahren nach Absatz 2 nur in den nachstehenden Fällen eröffnet werden:
- falls die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Absatz 1 angesichts der Bedingungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, nicht möglich ist;
- falls die Eröffnung des Partikularverfahrens von einem Gläubiger beantragt wird, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet, oder dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht.
Artikel 4 – Anwendbares Recht
(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend „Staat der Verfahrenseröffnung“ genannt.
(2) Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:
- bei welcher Art von Schuldnern ein Insolvenzverfahren zulässig ist;
- welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind;
- die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters;
- die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung;
- wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt;
- wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt; ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten;
- welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen;
- die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen;
- die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, den Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden;
- die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich;
- die Rechte der Gläubiger nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens;
- wer die Kosten des Insolvenzverfahrens einschließlich der Auslagen zu tragen hat;
- welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen.
Artikel 5 – Dingliche Rechte Dritte
(1) Das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners – sowohl an bestimmten Gegenständen als auch an einer Mehrheit von nicht bestimmten Gegenständen mit wechselnder Zusammensetzung -, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, wird von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt.
(2) Rechte im Sinne von Absatz 1 sind insbesondere
- das Recht, den Gegenstand zu verwerten oder verwerten zu lassen und aus dem Erlös oder den Nutzungen dieses Gegenstands befriedigt zu werden, insbesondere aufgrund eines Pfandrechts oder einer Hypothek;
- das ausschließliche Recht, eine Forderung einzuziehen, insbesondere aufgrund eines Pfandrechts an einer Forderung oder aufgrund einer Sicherheitsabtretung dieser Forderung;
- das Recht, die Herausgabe des Gegenstands von jedermann zu verlangen, der diesen gegen den Willen des Berechtigten besitzt oder nutzt;
- das dingliche Recht, die Früchte eines Gegenstands zu ziehen.
(3) Das in einem öffentlichen Register eingetragene und gegen jedermann wirksame Recht, ein dingliches Recht im Sinne von Absatz 1 zu erlangen, wird einem dinglichen Recht gleichgestellt.
(4) Absatz 1 steht der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relativen Unwirksamkeit einer Rechtshandlung nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) nicht entgegen.
Artikel 6 – Aufrechnung
(1) Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.
(2) Absatz 1 steht der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relativen Unwirksamkeit einer Rechtshandlung nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) nicht entgegen.
Artikel 7 – Eigentumsvorbehalt
(1) Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer einer Sache lässt die Rechte des Verkäufers aus einem Eigentumsvorbehalt unberührt, wenn sich diese Sache zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem der Verfahrenseröffnung befindet.
(2) Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Verkäufer einer Sache nach deren Lieferung rechtfertigt nicht die Auflösung oder Beendigung des Kaufvertrags und steht dem Eigentumserwerb des Käufers nicht entgegen, wenn sich diese Sache zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem der Verfahrenseröffnung befindet.
(3) Die Absätze 1 und 2 stehen der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relativen Unwirksamkeit einer Rechtshandlung nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) nicht entgegen.
Artikel 8 – Vertrag über einen unbeweglichen Gegenstand
Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Vertrag, der zum Erwerb oder zur Nutzung eines unbeweglichen Gegenstands berechtigt, ist ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, in dessen Gebiet dieser Gegenstand belegen ist.
Artikel 9 – Zahlungssysteme und Finanzmärkte
(1) Unbeschadet des Artikels 5 ist für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Rechte und Pflichten der Mitglieder eines Zahlungs- oder Abwicklungssystems oder eines Finanzmarktes ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, das für das betreffende System oder den betreffenden Markt gilt.
(2) Absatz 1 steht einer Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relativen Unwirksamkeit der Zahlungen oder Transaktionen gemäß den für das betreffende Zahlungssystem oder den betreffenden Finanzmarkt geltenden Rechtsvorschriften nicht entgegen.
Artikel 10 – Arbeitsvertrag
Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis gilt ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist.
Artikel 11 – Wirkung auf eintragungspflichtige Rechte
Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Rechte des Schuldners an einem unbeweglichen Gegenstand, einem Schiff oder einem Luftfahrzeug, die der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegen, ist das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird.
Artikel 12 – Gemeinschaftspatente und -marken
Für die Zwecke dieser Verordnung kann ein Gemeinschaftspatent, eine Gemeinschaftsmarke oder jedes andere durch Gemeinschaftsvorschriften begründete ähnliche Recht nur in ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 miteinbezogen werden.
Artikel 13 – Benachteiligende Handlungen
Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) findet keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist,
- dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und
- dass in diesem Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist.
Artikel 14 – Schutz des Dritterwerbers
Verfügt der Schuldner durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung gegen Entgelt
- über einen unbeweglichen Gegenstand,
- über ein Schiff oder ein Luftfahrzeug, das der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegt, oder
- über Wertpapiere, deren Eintragung in ein gesetzlich vorgeschriebenes Register Voraussetzung für ihre Existenz ist,
so richtet sich die Wirksamkeit dieser Rechtshandlung dem Recht des Staates, in dessen Gebiet dieser unbewegliche Gegenstand belegen ist oder unter dessen Aufsicht das Register geführt wird.
Artikel 15 – Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten
Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse gilt ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist.
KAPITEL II – ANERKENNUNG DER INSOLVENZVERFAHREN
Artikel 16 – Grundsatz
(1) Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Artikel 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats wird in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist.
Dies gilt auch, wenn in den übrigen Mitgliedstaaten über das Vermögen des Schuldners wegen seiner Eigenschaft ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden könnte.
(2) Die Anerkennung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 steht der Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 2 durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht entgegen. In diesem Fall ist das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 2 ein Sekundärinsolvenzverfahren im Sinne von Kapitel III.
Artikel 17 – Wirkungen der Anerkennung
(1) Die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 entfaltet in jedem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, sofern diese Verordnung nichts anderes bestimmt und solange in diesem anderen Mitgliedstaat kein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 2 eröffnet ist.
(2) Die Wirkungen eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 2 dürfen in den anderen Mitgliedstaten nicht in Frage gestellt werden. Jegliche Beschränkung der Rechte der Gläubiger, insbesondere eine Stundung oder eine Schuldbefreiung infolge des Verfahrens, wirkt hinsichtlich des im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats belegenen Vermögens nur gegenüber den Gläubigern, die ihre Zustimmung hierzu erteilt haben.
Artikel 18 – Befugnisse des Verwalters
(1) Der Verwalter, der durch ein nach Artikel 3 Absatz 1 zuständiges Gericht bestellt worden ist, darf im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen, solange in dem anderen Staat nicht ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet ist oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme auf einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hin ergriffen worden ist. Er kann insbesondere vorbehaltlich der Artikel 5 und 7 die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaats entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden.
(2) Der Verwalter, der durch ein nach Artikel 3 Absatz 2 zuständiges Gericht bestellt worden ist, darf in jedem anderen Mitgliedstaat gerichtlich und außergerichtlich geltend machen, dass ein beweglicher Gegenstand nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Gebiet des Staates der Verfahrenseröffnung in das Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats verbracht worden ist. Des weiteren kann er eine den Interessen der Gläubiger dienende Anfechtungsklage erheben.
(3) Bei der Ausübung seiner Befugnisse hat der Verwalter das Recht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er handeln will, zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Art und Weise der Verwertung eines Gegenstands der Masse. Diese Befugnisse dürfen nicht die Anwendung von Zwangsmitteln oder das Recht umfassen, Rechtsstreitigkeiten oder andere Auseinandersetzungen zu entscheiden.
Artikel 19 – Nachweis der Verwalterstellung
Die Bestellung zum Verwalter wird durch eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung, durch die er bestellt worden ist, oder durch eine andere von dem zuständigen Gericht ausgestellte Bescheinigung nachgewiesen.
Es kann eine Übersetzung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er handeln will, verlangt werden. Eine Legalisation oder eine entsprechende andere Förmlichkeit wird nicht verlangt.
Artikel 20 – Herausgabepflicht und Anrechnung
(1) Ein Gläubiger, der nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 auf irgendeine Weise, insbesondere durch Zwangsvollstreckung, vollständig oder teilweise aus einem Gegenstand der Masse befriedigt wird, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, hat vorbehaltlich der Artikel 5 und 7 das Erlangte an den Verwalter herauszugeben.
(2) Zur Wahrung der Gleichbehandlung der Gläubiger nimmt ein Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren eine Quote auf seine Forderung erlangt hat, an der Verteilung im Rahmen eines anderen Verfahrens erst dann teil, wenn die Gläubiger gleichen Ranges oder gleicher Gruppenzugehörigkeit in diesem anderen Verfahren die gleiche Quote erlangt haben.
Artikel 21 – Öffentliche Bekanntmachung
(1) Auf Antrag des Verwalters ist in jedem anderen Mitgliedstaat der wesentliche Inhalt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und gegebenenfalls der Entscheidung über eine Bestellung entsprechend den Bestimmungen des jeweiligen Staates für öffentliche Bekanntmachungen zu veröffentlichen. In der Bekanntmachung ist ferner anzugeben, welcher Verwalter bestellt wurde und ob sich die Zuständigkeit aus Artikel 3 Absatz 1 oder aus Artikel 3 Absatz 2 ergibt.
(2) Jeder Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Schuldner eine Niederlassung besitzt, kann jedoch die obligatorische Bekanntmachung vorsehen. In diesem Fall hat der Verwalter oder jede andere hierzu befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 eröffnet wurde, die für diese Bekanntmachung erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Artikel 22 – Eintragung in öffentliche Register
(1) Auf Antrag des Verwalters ist die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 in das Grundbuch, das Handelsregister und alle sonstigen öffentlichen Register in den übrigen Mitgliedstaaten einzutragen.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann jedoch die obligatorische Eintragung vorsehen. In diesem Fall hat der Verwalter oder andere hierzu befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 eröffnet wurde, die für diese Eintragung erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Artikel 23 – Kosten
Die Kosten der öffentlichen Bekanntmachung nach Artikel 21 und der Eintragung nach Artikel 22 gelten als Kosten und Aufwendungen des Verfahrens.
Artikel 24 – Leistung an den Schuldner
(1) Wer in einem Mitgliedstaat an einen Schuldner leistet, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, obwohl er an den Verwalter des Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, wird befreit, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war.
(2) Erfolgt die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Artikel 21, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung nicht bekannt war. Erfolgt die Leistung nach der Bekanntmachung gemäß Artikel 21, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung bekannt war.
Artikel 25 – Anerkennung und Vollstreckbarkeit sonstiger Entscheidungen
(1) Die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsentscheidung nach Artikel 16 anerkannt wird, sowie ein von einem solchen Gericht bestätigter Vergleich werden ebenfalls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt. Diese Entscheidungen werden nach den Artikeln 31 bis 51 (mit Ausnahme von Artikel 34 Absatz 2) des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Beitrittsübereinkommen zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung vollstreckt.
Unterabsatz 1 gilt auch für Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden.
Unterabsatz 1 gilt auch für Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen, die nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens getroffen werden.
(2) Die Anerkennung und Vollstreckung der anderen als der in Absatz 1 genannten Entscheidungen unterliegen dem Übereinkommen nach Absatz 1, soweit jenes Übereinkommen anwendbar ist.
(3) Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, eine Entscheidung gemäß Absatz 1 anzuerkennen und zu vollstrecken, die eine Einschränkung der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses zur Folge hätte.
Artikel 26 (6) – Ordre Public
Jeder Mitgliedstaat kann sich weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des einzelnen, unvereinbar ist.
KAPITEL III – SEKUNDÄRINSOLVENZVERFAHREN
Artikel 27 – Verfahrenseröffnung
Ist durch ein Gericht eines Mitgliedstaats ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 eröffnet worden, das in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist (Hauptinsolvenzverfahren), so kann ein nach Artikel 3 Absatz 2 zuständiges Gericht dieses anderen Mitgliedstaats ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen, ohne dass in diesem anderen Mitgliedstaat die Insolvenz des Schuldners geprüft wird. Bei diesem Verfahren muss es sich um eines der in Anhang B aufgeführten Verfahren handeln. Seine Wirkungen beschränken sich auf das im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners.
Artikel 28 – Anwendbares Recht
Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, finden auf das Sekundärinsolvenzverfahren die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Anwendung, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Artikel 29 – Antragsrecht
Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens können beantragen:
- der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens,
- jede andere Person oder Stelle, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaats zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll.
Artikel 30 – Kostenvorschuss
Verlangt das Recht des Mitgliedstaats, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren beantragt wird, dass die Kosten des Verfahrens einschließlich der Auslagen ganz oder teilweise durch die Masse gedeckt sind, so kann das Gericht, bei dem ein solcher Antrag gestellt wird, vom Antragsteller einen Kostenvorschuss oder eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen.
Artikel 31 – Kooperations- und Unterrichtungspflicht
(1) Vorbehaltlich der Vorschriften über die Einschränkung der Weitergabe von Informationen besteht für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens und für die Verwalter der Sekundärinsolvenzverfahren die Pflicht zur gegenseitigen Unterrichtung. Sie haben einander unverzüglich alle Informationen mitzuteilen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere den Stand der Anmeldung und der Prüfung der Forderungen sowie alle Maßnahmen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens.
(2) Vorbehaltlich der für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften sind der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens und die Verwalter der Sekundärinsolvenzverfahren zur Zusammenarbeit verpflichtet.
(3) Der Verwalter eines Sekundärinsolvenzverfahrens hat dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu gegebener Zeit Gelegenheit zu geben, Vorschläge für die Verwertung oder jede Art der Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens zu unterbreiten.
Artikel 32 – Ausübung von Gläubigerrechten
(1) Jeder Gläubiger kann seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden.
(2) Die Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens und der Sekundärinsolvenzverfahren melden in den anderen Verfahren die Forderungen an, die in dem Verfahren, für das sie bestellt sind, bereits angemeldet worden sind, soweit dies für die Gläubiger des letztgenannten Verfahrens zweckmäßig ist und vorbehaltlich des Rechts dieser Gläubiger, dies abzulehnen oder die Anmeldung zurückzunehmen, sofern ein solches Recht gesetzlich vorgesehen ist.
(3) Der Verwalter eines Haupt- oder eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist berechtigt, wie ein Gläubiger an einem anderen Insolvenzverfahren mitzuwirken, insbesondere indem er an einer Gläubigerversammlung teilnimmt.
Artikel 33 – Aussetzung der Verwertung
(1) Das Gericht, welches das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet hat, setzt auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens die Verwertung ganz oder teilweise aus; dem zuständigen Gericht steht jedoch das Recht zu, in diesem Fall vom Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens alle angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Gläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens sowie einzelner Gruppen von Gläubigern zu verlangen. Der Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens kann nur abgelehnt werden, wenn die Aussetzung offensichtlich für die Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens nicht von Interesse ist. Die Aussetzung der Verwertung kann für höchstens drei Monate angeordnet werden. Sie kann für jeweils denselben Zeitraum verlängert oder erneuert werden.
(2) Das Gericht nach Absatz 1 hebt die Aussetzung der Verwertung in folgenden Fällen auf:
- auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens,
- von Amts wegen, auf Antrag eines Gläubigers oder auf Antrag des Verwalters des Sekundärinsolvenzverfahrens, wenn sich herausstellt, dass diese Maßnahme insbesondere nicht mehr mit dem Interesse der Gläubiger des Haupt- oder des Sekundärinsolvenzverfahrens zu rechtfertigen ist.
Artikel 34 – Verfahrensbeendende Maßnahmen
(1) Kann das Sekundärinsolvenzverfahren nach dem für dieses Verfahren maßgeblichen Recht ohne Liquidation durch einen Sanierungsplan, einen Vergleich oder eine andere vergleichbare Maßnahme beendet werden, so kann eine solche Maßnahme vom Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens vorgeschlagen werden.
Eine Beendigung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch eine Maßnahme nach Unterabsatz 1 kann nur bestätigt werden, wenn der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zustimmt oder, falls dieser nicht zustimmt, wenn die finanziellen Interessen der Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens durch die vorgeschlagene Maßnahme nicht beeinträchtigt werden.
(2) Jede Beschränkung der Rechte der Gläubiger, wie zum Beispiel eine Stundung oder eine Schuldbefreiung, die sich aus einer in einem Sekundärinsolvenzverfahren vorgeschlagenen Maßnahme im Sinne von Absatz 1 ergibt, kann nur dann Auswirkungen auf das nicht von diesem Verfahren betroffene Vermögen des Schuldners haben, wenn alle betroffenen Gläubiger der Maßnahme zustimmen.
(3) Während einer nach Artikel 33 angeordneten Aussetzung der Verwertung kann nur der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens oder der Schuldner mit dessen Zustimmung im Sekundärinsolvenzverfahren Maßnahmen im Sinne von Absatz 1 des vorliegenden Artikels vorschlagen; andere Vorschläge für eine solche Maßnahme dürfen weder zur Abstimmung gestellt noch bestätigt werden.
Artikel 35 – Überschuss im Sekundärinsolvenzverfahren
Können bei der Verwertung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens alle in diesem Verfahren festgestellten Forderungen befriedigt werden, so übergibt der in diesem Verfahren bestellte Verwalter den verbleibenden Überschuss unverzüglich dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens.
Artikel 36 – Nachträgliche Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens
Wird ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 eröffnet, nachdem in einem anderen Mitgliedstaat ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 2 eröffnet worden ist, so gelten die Artikel 31 bis 35 für das zuerst eröffnete Insolvenzverfahren, soweit dies nach dem Stand dieses Verfahrens möglich ist.
Artikel 37 (7) – Umwandlung des vorhergehenden Verfahrens
Der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens kann beantragen, dass ein in Anhang A genanntes Verfahren, das zuvor in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, in ein Liquidationsverfahren umgewandelt wird, wenn es sich erweist, dass diese Umwandlung im Interesse der Gläubiger des Hauptverfahrens liegt.
Das nach Artikel 3 Absatz 2 zuständige Gericht ordnet die Umwandlung in eines der in Anhang B aufgeführten Verfahren an.
Artikel 38 – Sicherungsmaßnahmen
Bestellt das nach Artikel 3 Absatz 1 zuständige Gericht eines Mitgliedstaats zur Sicherung des Schuldnervermögens einen vorläufigen Verwalter, so ist dieser berechtigt, zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens, das sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, jede Maßnahme zu beantragen, die nach dem Recht dieses Staates für die Zeit zwischen dem Antrag auf Eröffnung eines Liquidationsverfahrens und dessen Eröffnung vorgesehen ist.
KAPITEL IV – UNTERRICHTUNG DER GLÄUBIGER UND ANMELDUNG IHRER FORDERUNGEN
Artikel 39 – Recht auf Anmeldung von Forderungen
Jeder Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, einschließlich der Steuerbehörden und der Sozialversicherungsträger der Mitgliedstaaten, kann seine Forderungen in dem Insolvenzverfahren schriftlich anmelden.
Artikel 40 – Pflicht zur Unterrichtung der Gläubiger
(1) Sobald in einem Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, unterrichtet das zuständige Gericht dieses Staates oder der von diesem Gericht bestellte Verwalter unverzüglich die bekannten Gläubiger, die in den anderen Mitgliedstaaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz haben.
(2) Die Unterrichtung erfolgt durch individuelle Übersendung eines Vermerks und gibt insbesondere an, welche Fristen einzuhalten sind, welches die Versäumnisfolgen sind, welche Stelle für die Entgegennahme der Anmeldungen zuständig ist und welche weiteren Maßnahmen vorgeschrieben sind. In dem Vermerk ist auch anzugeben, ob die bevorrechtigten oder dinglich gesicherten Gläubiger ihre Forderungen anmelden müssen.
Artikel 41 – Inhalt einer Forderungsanmeldung
Der Gläubiger übersendet eine Kopie der gegebenenfalls vorhandenen Belege, teilt die Art, den Entstehungszeitpunkt und den Betrag der Forderung mit und gibt an, ob er für die Forderung ein Vorrecht, eine dingliche Sicherheit oder einen Eigentumsvorbehalt beansprucht und welche Vermögenswerte Gegenstand seiner Sicherheit sind.
Artikel 42 – Sprachen
(1) Die Unterrichtung nach Artikel 40 erfolgt in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Staates der Verfahrenseröffnung. Hierfür ist ein Formblatt zu verwenden, das in sämtlichen Amtssprachen der Organe der Europäischen Union mit den Worten „Aufforderung zur Anmeldung einer Forderung. Etwaige Fristen beachten!“ überschrieben ist.
(2) Jeder Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, kann seine Forderung auch in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen dieses anderen Staates anmelden. In diesem Fall muss die Anmeldung jedoch mindestens die Überschrift „Anmeldung einer Forderung“ in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Staates der Verfahrenseröffnung tragen. Vom Gläubiger kann eine Übersetzung der Anmeldung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Staates der Verfahrenseröffnung verlangt werden.
KAPITEL V – ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN
Artikel 43 – Zeitlicher Geltungsbereich
Diese Verordnung ist nur auf solche Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach ihrem Inkrafttreten eröffnet worden sind. Für Rechtshandlungen des Schuldners vor Inkrafttreten dieser Verordnung gilt weiterhin das Recht, das für diese Rechtshandlungen anwendbar war, als sie vorgenommen wurden.
Artikel 44 – Verhältnis zu Übereinkünften
(1) Nach ihrem Inkrafttreten ersetzt diese Verordnung in ihrem sachlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander die zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünfte, insbesondere
- das am 8. Juli 1899 in Paris unterzeichnete belgisch-französische Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden;
- das am 16. Juli 1969 in Brüssel unterzeichnete belgisch-österreichische Abkommen über Konkurs, Ausgleich und Zahlungsaufschub (mit Zusatzprotokoll vom 13. Juni 1973);
- das am 28. März 1925 in Brüssel unterzeichnete belgisch-niederländische Abkommen über die Zuständigkeit der Gerichte, den Konkurs sowie die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden;
- den am 25. Mai 1979 in Wien unterzeichneten deutsch-österreichischen Vertrag auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs-(Ausgleichs-)rechts;
- das am 27. Februar 1979 in Wien unterzeichnete französisch-österreichische Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet des Insolvenzrechts;
- das am 3. Juni 1930 in Rom unterzeichnete französisch-italienische Abkommen über die Vollstreckung gerichtlicher Urteile in Zivil- und Handelssachen;
- das am 12. Juli 1977 in Rom unterzeichnete italienisch-österreichische Abkommen über Konkurs und Ausgleich;
- den am 30. August 1962 in Den Haag unterzeichneten deutsch-niederländischen Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen;
- das am 2. Mai 1934 in Brüssel unterzeichnete britisch-belgische Abkommen zur gegenseitigen Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen mit Protokoll;
- das am 7. November 1993 in Kopenhagen zwischen Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Irland geschlossene Konkursübereinkommen;
- das am 5. Juni 1990 in Istanbul unterzeichnete Europäische Übereinkommen über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses.
(2) Die in Absatz 1 aufgeführten Übereinkünfte behalten ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Verfahren, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung eröffnet worden sind.
(3) Diese Verordnung gilt nicht
- in einem Mitgliedstaat, soweit es in Konkurssachen mit den Verpflichtungen aus einer Übereinkunft unvereinbar ist, die dieser Staat mit einem oder mehreren Drittstaaten vor Inkrafttreten dieser Verordnung geschlossen hat;
- im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, soweit es in Konkurssachen mit den Verpflichtungen aus Vereinbarungen, die im Rahmen des Commonwealth geschlossen wurden und die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung wirksam sind, unvereinbar ist.
Artikel 45 – Änderung der Anhänge
Der Rat kann auf Initiative eines seiner Mitglieder oder auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Anhänge ändern.
Artikel 46 – Bericht
Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 1. Juni 2012 und danach alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor. Der Bericht enthält gegebenenfalls einen Vorschlag zur Anpassung dieser Verordnung.
Artikel 47 – Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 31. Mai 2002 in Kraft.
Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten.
Geschehen zu Brüssel am 29. Mai 2000.
Im Namen des Rates
Der Präsident
A. Costa
- Stellungnahme vom 2. März 2000 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
- Stellungnahme vom 26. Januar 2000 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
- ABl. L 299 vom 31.12.1972, S. 32.
- ABl. L 204 vom 2.8.1975, S. 28.
ABl. L 304 vom 30.10.1978, S. 1.
ABl. L 338 vom 31.12.1982, S. 1.
ABl. L 285 vom 3.10.1989, S. 1.
ABl. C 15 vom 15.1.1997, S. 1. - ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 45.
- Siehe die Erklärung Portugals zur Anwendung der Artikel 26 und 37 (ABl. C 183 vom 30.6.2000, S. 1).
- Siehe die Erklärung Portugals zur Anwendung der Artikel 26 und 37 (ABl. C 183 vom 30.6.2000, S. 1).
BGH Urteil zum Insolvenzverfahren in England oder Frankreich- Leitsatz des Kommentators:
Wenn sich ein deutscher Staatsangehöriger ins Ausland begibt und sich dort einem Verfahren zur Restschuldbefreiung unterwirft, welches den Regelungen der InsO, insbesondere in Bezug auf die Vermögensverwertung, grundsätzlich entspricht, so ist eine dort erteilte Restschuldbefreiung auch im Inland anzuerkennen. Die im Ausland ( hier: Frankreich ) geltenden Fristen zur Erlangung der Restschuldbefreiung müssen nicht den relativ langen Fristen der deutschen InsO entsprechen.
BGH, Beschluß vom 18. 9. 2001 – IX ZB 51 / 00
Vorinstanzen: OLG Karlsruhe, LG Baden-Baden
Fundstelle: NZI 2001, 646 – 648
Zum Sachverhalt:
Der Schuldner nahm 1992 einen Kredit bei der Gläubigerin auf. Nachdem er nach Frankreich verzogen war, erwirkte die Gläubigerin gegen ihn am 6.12.1994 beim Tribunal d´instance Haguenau eine Ordonnance d´injonction de payer auf Zahlung von 134.813 FF nebst Zinsen und Kosten. Am 28. 2. 1996 wurde gegen den Schuldner vom Tribunal de Grande Instance de Strasbourg das Konkurs- (Liquidations-) Verfahren eröffnet. Am 18.5.1999 wurde dieses Verfahren mangels Masse beendet und dem Schuldner Schuldbefreiung gewährt. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende Richter einer Zivilkammer des LG Baden-Baden mit Beschluss vom 24.6.1999 die Erteilung der deutschen Klausel zur Zahlungsanordnung des Instanzgerichts Haguenau vom 6.12.1994 angeordnet. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Schuldners hat das OLG den Beschluss des LG abgeändert und den Antrag auf Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel zurückgewiesen.
Die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
B. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
I. 1. Das OLG hat ausgeführt, der Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel stehe die schuldbefreiende Wirkung der Abschlussentscheidung des französischen Liquidationsverfahrens vom 18.5.1999 entgegen:
Nach französischem Recht entfalte diese Entscheidung auch Entschuldungswirkung gegenüber der deutschen Gläubigerin. In den französischen Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle sei das französische Insolvenzgesetz von 1985/1994 auf alle natürlichen Personen – nicht nur Kaufleute – anwendbar. Die Entschuldungswirkung nach Art. 169 des Gesetzes sei aber nicht territorial auf diese drei Departements beschränkt. Vielmehr beanspruche das französische Insolvenzverfahren grundsätzlich universelle Geltung auch im Ausland. Das treffe zugleich für die Entschuldungswirkung („suspension des poursuites“) zu. Diese gelte nach französischem Recht auch für ausländische Gläubiger und für Gläubiger von Forderungen fremden Rechts.
Diese Entschuldungswirkung sei – so führt das OLG weiter aus – in Deutschland anzuerkennen. Insoweit könnten keine anderen Maßstäbe gelten als bei der Anerkennung der Wirkung ausländischer Vergleiche, die zu einer Minderung von Forderungen führen könnten (vgl. hierzu BGHZ 134, 79[82 f., 87 ff.] = NJW 1997, 524 = LM H. 4/1997 § 1 VerglO Nr. 1). Nach Art. 102 EGInsO, der den früheren anerkennungs-rechtlichen Rechtszustand nur bestätige, müssten vier Voraussetzungen für die Anerkennung von Insolvenzwirkungen gegeben sein: funktionelle Vergleichbarkeit des ausländischen Verfahrens mit dem deutschen; internationale Anerkennungszuständigkeit; Anspruch des fremden Verfahrens auf Auslandswirkung sowie Vereinbarkeit mit dem deutschen Ordre public. Alle diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Das französische Liquidationsverfahren sei dem Verfahren der deutschen InsO voll vergleichbar. Nachdem auch die neue deutsche InsO die Entschuldung als VerfahrensfOLGe der Liquidation kenne, bestehe zur französischen „suspension des poursuites“ nur ein gradueller Unterschied. Das französische Insolvenzgericht sei für die Durchführung des Verfahrens zudem international zuständig gewesen. Nach altem und neuem Insolvenzrecht sei bei fehlender selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands und damit bei natürlichen Personen das Wohnsitzgericht international zuständig (§ 71 I KO, § 3 I InsO, § 13 ZPO). Der Wohnsitz bestimme sich nach §§ 7 f. BGB. Danach seien die ständige Niederlassung und der Lebensmittelpunkt entscheidend. Der Schuldner hier habe den Schwerpunkt seines familiären Lebens in Frankreich, wo er und seine Familie gemeldet seien und sich seine Familienwohnung befinde. Nicht ausschlaggebend könne sein, dass er in Deutschland arbeite und demgemäß in Deutschland auch geschäftliche Aktivitäten entfalte. Auch auf den Grad seiner persönlichen Einbindung in das französische Umfeld könne es nicht entscheidend ankommen. Die Gläubigerin habe den Gerichtsstand in Frankreich selbst ihrem Prozessverhalten zu Grunde gelegt, als sie die „injonction de payer“ beim Instanzgericht Haguenau beantragt habe. Auch im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 I EuGVÜ sei es allein Sache des Vollstreckungsstaats, ob er die Entschuldungswirkung anerkenne (EuGH, Slg. I 1999, 2543 = IPRax 2000, 18 ff.). Grundlage dafür seien in Deutschland die §§ 13 I, 15 AVAG.
2. Diese Ausführungen treffen auch nach Ansicht des erkennenden Senats zu (vgl. ergänzend BGHZ 122, 373 [375 ff.] = NJW 1993, 2312 = LM H. 12/1993 § 237 KO Nr. 6). a) Die Rechtsbeschwerde wendet dagegen nur ein, französische Gerichte seien für ein Insolvenzverfahren gegen den Schuldner nicht zuständig gewesen. Denn die Verlegung des Wohnsitzes des Schuldners in das Elsass sei rechtsmissbräuchlich. Der Schuldner habe seinen Wohnsitz nach Begründung der Schuld dorthin verlegt, um in den Genuss der Restschuldbefreiung des französischen Konkursrechts zu gelangen. Ein solches „forum shopping“ könne schon aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht anerkannt werden. Jedenfalls enthalte der angefochtene Beschluss keine Ausführungen dazu, wie das französische Recht rechtsmissbräuchliche Wohnortwechsel sanktioniere.
b) Damit wird jedoch nicht in Frage gestellt, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Eröffnung des französischen Konkurs-(Liquidations-)Verfahrens seinen Wohnsitz tatsächlich in Frankreich hatte. Die Gläubigerin zieht insbesondere nicht in Frage, dass der Schuldner seine Wohnung ins Elsass verlegt hat, um dort – soweit absehbar – auf Dauer zu bleiben; immerhin wohnt er jetzt seit mehr als sechs Jahren dort. Daran ändert es nichts, dass er jedenfalls einmal innerhalb Frankreichs umgezogen ist und seine Wohnungen jeweils grenznah zu Deutschland liegen. Die Umstände, dass er in Deutschland eine Arbeitsstelle hat und hier teilweise einkauft, sind rechtlich ebenso unerheblich wie die Tatsache, dass er den Mietzins an eine deutsche Vermieterin zahlen muss. Dass das vom Schuldner genutzte Kraftfahrzeug im Landkreis Rastatt gemeldet ist, hat der Schuldner unwiderlegt damit erklärt, er habe es von seinem Bruder geliehen. Endlich ist es für den Wohnsitz – entgegen der Auffassung der Gläubigerin – bedeutungslos, dass der Schuldner sich zu Erklärungen vor einem französischen Gericht eines Dolmetschers bedient hat. Wenn das französische Konkursgericht sich nach alledem für örtlich zuständig hielt, ist dessen Entscheidung mit dieser Tragweite auch aus deutscher Sicht hinzunehmen. Insbesondere ist im Rahmen der Prüfung allein der Zuständigkeit ausländischer Insolvenzgerichte (vgl. Art. 102 I Nr. 1 EGInsO) grundsätzlich nicht danach zu forschen, ob die ausländische Rechtsordnung Vorkehrungen gegen die rechtsmissbräuchliche Erschleichung eines Gerichtsstands oder gegen die Ausnutzung eines „forum non conveniens“ trifft, sowie aus welchen Gründen das ausländische Gericht im Einzelfall davon keinen Gebrauch gemacht hat. Es genügt in diesem Zusammenhang, dass die Sachlage für den Regelfall die internationale Zuständigkeit des ausländischen Insolvenzgerichts (entsprechend § 71 KO/§ 3 InsO) ergibt. Sofern das Ergebnis im Einzelfall Anstoß erregen sollte, ist dies allein unter dem umfassenderen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die deutsche öffentliche Ordnung zu prüfen (s.u. II).
II. 1. Das OLG hat einen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung mit fOLGender Begründung verneint: Die Entschuldungswirkung fremder Insolvenzverfahren verstoße als solche nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung. Die Gläubigerin hätte sich selbst am französischen Verfahren beteiligen können; ob sie dies tatsächlich getan habe, sei unerheblich. Dasselbe gelte für den von ihr geäußerten Verdacht, der Schuldner habe über deutsche Einkünfte unwahre Angaben gemacht. Sogar nach Einstellung des französischen Konkursverfahrens mangels Masse könne entweder eine „ordonnance“ des „président du tribunal“ die individuelle RechtsverfOLGung wieder erlauben (Art. 169 II des französischen Insolvenzgesetzes) oder das französische Verfahren auf Antrag der deutschen Gläubigerin wieder aufgenommen werden, falls deutsches Vermögen nicht erfasst war (Art. 170 des Gesetzes). Diese Möglichkeit müsste die Gläubigerin jedenfalls im Kollektivverfahren der Insolvenz ausnützen, ehe sie sich in Deutschland auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung wegen betrügerischer Manipulationen berufe. Denn die denkbare Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Verfahrens im Ausland komme gegebenenfalls allen Gläubigern zugute, die Vollstreckung unter Nichtbeachtung der Ent-schuldungswirkung würde hingegen in jedem Falle nur den früher säumigen, vollstreckenden Gläubiger einseitig begünstigen und könne so die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung nachträglich stören.
2. Dagegen rügt die Rechtsbeschwerde: Eine Restschuldbefreiung verstoße allenfalls dann nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung, wenn sie an eine bestimmte Mindestbefriedigungsquote oder an einen längeren Zeitraum geknüpft sei, in dem sich der Schuldner ernsthaft um eine Schuldentilgung bemühen müsse. Im französischen Konkursverfahren dagegen würden die Gläubiger im Verhältnis zum Schuldner bewusst in unvertretbarer Weise zurückgesetzt. Das verleite zu einem „Restschuldbefreiungs-Tourismus“. Es komme hier hinzu, dass die Gläubigerin vorgetragen habe, der Schuldner habe in dem französischen Konkursverfahren seine Einkünfte nicht vollständig offen gelegt. Dieser Einwand müsse dem Gläubiger grundsätzlich verbleiben, auch wenn er nicht am französischen Konkursverfahren teilnehme. Er könne nicht darauf verwiesen werden, die Wiederaufnahme des Konkursverfahrens in Frankreich zu betreiben, weil auch die Regelung des Art. 169 II des französischen Insolvenzgesetzes die individuelle Gläubigerbefriedigung nachträglich ermögliche.
3. Damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch.
a) Die deutsche öffentliche Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Eine bestimmte Mindestquote als Ergebnis einer konkursmäßigen Befriedigung setzt das deutsche Recht nicht voraus (vgl. BGHZ 134, 79 [91 f.] = NJW 1997, 524 = LM H. 4/1997 § 1 VerglO Nr. 1). Hier hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, dass in der Verbraucherinsolvenz sogar „Nullpläne“ zulässig sind (vgl. BayObLGZ 1999, 310 = NJW 2000, 220 = NZI 1999, 451 = ZIP 1999, 1926 [1928 f.]; OLG Köln, NJW 2000, 223 = NZI 1999, 494 = ZIP 1999, 1929 [1930 ff.]).
b) Seit Einführung der Möglichkeit zur Restschuldbefreiung für alle natürlichen Personen ( §§ 286 ff., 304 ff. InsO ) ab 1.1.1999 auch in Deutschland mag es schon allgemein zweifelhaft sein, ob die Wohnsitzverlegung in einen anderen Staat zu dem Zweck, unter erleichterten Bedingungen von Schulden befreit zu werden, rechtsmissbräuchlich ist.
aa) Die wesentliche Erschwernis des deutschen Systems der Restschuldbefreiung – im Vergleich mit den Regelungen anderer Rechtsordnungen – ist die siebenjährige Wohlverhaltensperiode nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§§ 287 I 1, 291 ff. InsO). In welchem Umfange diese Regelung die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger tatsächlich verbessert, ist bisher nicht geklärt. Diese Aussichten werden sich zudem mit einem In-Kraft-Treten des weitgehend vorbereiteten Änderungsgesetzes zur InsO zusätzlich dadurch verringern, dass danach gestundete Kostenforderungen des Staates für das Verfahren den Ansprüchen der Gläubiger vorgehen. Im Übrigen hätte der Schuldner hier eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf fünf Jahre gem. Art. 107 EGInsO beantragen können. Danach lässt sich nicht annähernd abschätzen, in welchem Umfange die Forderung der Gläubigerin bei einem in Deutschland durchgeführten Insolvenzverfahren befriedigt worden wäre. Zwar verdient der Schuldner monatlich knapp 4000 DM netto. Er ist jedoch verheiratet und bezieht Kindergeld, so dass wenigstens ein Kind vorhanden sein muss. Über die Ansprüche anderer, mit der Gläubigerin konkurrierender Insolvenzgläubiger ist nichts dargetan. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Schuldners wurde sein in Frankreich belegenes Vermögen, u.a. ein Hausgrundstück, verwertet. Danach lässt sich schon allgemein nicht feststellen, dass die Gläubigerin sich wesentlich besser gestanden hätte, wenn deutsches statt französisches Insolvenzrecht anzuwenden gewesen wäre. bb) Darüber hinaus ist nicht hinreichend dargetan, dass der Schuldner seinen Wohnsitz – bis zum Jahre 1994 – rechtsmissbräuchlich nach Frankreich verlegt hätte. Die Gläubigerin gibt selbst an, dass eine Verlegung des Wohnsitzes nach Frankreich den Grenzgängern fOLGende Möglichkeiten eröffnet:
- Höhere Gehälter in Deutschland als in Frankreich,
- wirksameren Krankenschutz bei Mitgliedschaft in einer deutschen gesetzlichen Krankenkasse,
- viel geringere Steuerbelastung sowie
- geringere Lebenshaltungskosten.
Dies sind rechtlich anerkennenswerte Gründe, die allgemein einen Arbeitnehmer veranlassen können, die sozialen Unwägbarkeiten einer Wohnsitzverlegung ins Ausland auf sich zu nehmen. Demgegenüber lässt das weitere Vorbringen der Gläubigerin nicht erkennen, dass der Schuldner im Jahre 1994 nicht aus solchen Gründen, sondern vorwiegend deshalb nach Frankreich verzogen ist, um sich seiner Schulden in Deutschland zu entledigen. Dafür genügen die von der Gläubigerin vorgebrachten Anhaltspunkte nicht (s. o. I 2b). Sie sind sämtlich ohne weiteres mit den allgemeinen Vorteilen vereinbar, welche ein Grenzgänger auf Grund der eigenen Angaben der Gläubigerin zu erzielen vermag.
c) Endlich beruft sich die Rechtsbeschwerde auf das Vorbringen der Gläubigerin, der Schuldner habe in dem französischen Konkursverfahren seine Einkünfte nicht vollständig offen gelegt. Jedoch ergeben schon die Angaben der Gläubigerin in den Tatsacheninstanzen nicht hinreichend, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung in Frankreich unter arglistigem Verschweigen wesentlicher Umstände erlangt hat.
Soweit die Gläubigerin gemeint hat, mit einem Monatseinkommen von fast 4000 DM könne der Schuldner nicht zahlungsunfähig gewesen sein, verkennt sie den Begriff der Zahlungsunfähigkeit: Hierfür kommt es entscheidend auf das Verhältnis der frei verfügbaren Zahlungsmittel zur Höhe der insgesamt fälligen eingeforderten Gläubigeransprüche an. Das pfändbare Monatseinkommen des Schuldners hätte nicht einmal ausgereicht, um die gesamte Forderung der Gläubigerin innerhalb eines Jahres zu erfüllen, soweit keine Stundung gewährt war.
Darüber hinaus ist nicht dargetan, dass der Monatslohn des Schuldners der französischen Konkursverwalterin bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung am 18. 5. 1999 nicht bekannt gewesen wäre. Der Umstand allein, dass ein Schuldner erwerbstätig ist und pfändbaren Lohn bezieht, schließt eine Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse auch nach deutschem Recht grundsätzlich nicht aus, wenn das übrige werthaltige Vermögen verwertet ist (vgl. Grub/Smid, DZWir 1999, 1 [2ff.]; Beule, in: Festschr.f. Uhlenbruck, 2000, S. 539 [561]; Haarmeyer, ZInsO 2001, 572f., gegen AG Düsseldorf, ZInsO 2001, 572; AG Duisburg, NZI 2001, 106 = ZInsO 2001, 273 [274]; vgl. künftig § 196 I InsO i.d.F. des Art. 1 Nr. 12 des geplanten ÄndG).
Wenn die Gläubigerin schließlich – wie sie geltend macht – nicht weiß, ob der Schuldner ihre Forderung im französischen Konkursverfahren angegeben hat, ist das rechtlich unerheblich. Denn in Frankreich obliegt es – wie in Deutschland – auch dem Gläubiger selbst, seine Forderungen zum Verfahren anzumelden. Nach der nicht im Einzelnen bestrittenen Angabe des Schuldners soll sogar die Gläubigerin am französischen Konkursverfahren teilgenommen haben.
d) Die Darlegungslast für einen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung obliegt der widersprechenden Gläubigerin. Da sie ihr nicht genügt hat, ist die in Frankreich erteilte Rest-schuldbefreiung anzuerkennen.
Kommentar:
„Vive la France !“ kann man nach diesem BGH-Beschluss nur sagen. Der offenbar deutlich frankophile 9. Senat des BGH hat mit diesem Beschluss eine Lanze für Europa gebrochen und klargestellt, dass in einem vereinten Europa die Restschuldbefreiung nicht mit Überschreitung der Grenzen enden kann. Es ist das Recht jedes EU-Bürgers, Wohnsitz und Arbeitsplatz frei zu wählen und im Einzelfall auch die hohe soziale Sicherheit eines deutschen Arbeitsplatzes mit den Annehmlichkeiten eines Wohnsitzes in Frankreich zu verbinden. Diese Annehmlichkeiten beschränken sich nicht nur auf das bekannt gute Essen im Elsass, sondern beziehen sich in diesem Fall auf ein im Vergleich zur „alten“ deutschen InsO sensationell kurzes ( 3 Jahre und 4 Monate ) Verfahren zur Restschuldbefreiung.
Nachdem im detailverliebten und formularbesessenen Deutschland der Schuldner mindestens bis zum Jahre 2005 auf seine Restschuldbefreiung hätte warten müssen, war er dank Wohnsitz in Frankreich schon am 24.6.1999 am Ziel. Allerdings wurde auch hier vorhandenes Vermögen ( ein Hausgrundstück ) vollständig verwertet.
Das deutsche Kreditinstitut sah hierin einen Rechtsmissbrauch und eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Es sah die Gefahr eines „Restschuldbefreiungs-Tourismus“ in Europa. Der BGH hat dem-gegenüber klargestellt, dass diese ( vereinzelten ) Fälle nicht zum Untergang des Abendlandes führen und in einem zusammenwachsenden Europa akzeptiert werden müssen.
Übertragbar ist die rechtliche Situation bezüglich der Restschuldbefreiung auch auf unser Nachbarland Österreich. Gemäss vorstehendem Beschluss müsste auch die einem Deutschen mit Wohnsitz in Österreich erteilte Restschuldbefreiung in Deutschland anerkannt werden, wobei jedoch in Österreich der Schuldner eine Mindestquote von 10 % zu erbringen hat.
Insolvenzverfahren in England oder Frankreich: Eine im Ausland erteilte Restschuldbefreiung ist auch in Deutschland anzuerkennen (BGH-Urteil)
Leitsatz des Kommentators:
Wenn sich ein deutscher Staatsangehöriger ins Ausland begibt und sich dort einem Verfahren zur Restschuldbefreiung unterwirft, welches den Regelungen der InsO, insbesondere in Bezug auf die Vermögensverwertung, grundsätzlich entspricht, so ist eine dort erteilte Restschuldbefreiung auch im Inland anzuerkennen. Die im Ausland ( hier: Frankreich ) geltenden Fristen zur Erlangung der Restschuldbefreiung müssen nicht den relativ langen Fristen der deutschen InsO entsprechen.
BGH, Beschluß vom 18. 9. 2001 – IX ZB 51 / 00, Vorinstanzen: OLG Karlsruhe, LG Baden-Baden, Fundstelle: NZI 2001, 646 – 648
Ergänzend anhängig: EU-Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren und EU Niederlassungsfreiheit.
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Wichtige Fragen und Antworten zum Insolvenzverfahren in England
-Wieso müssen sich deutsche Gläubiger der Restschuldbefreiung durch englische Gerichte unterwerfen?
Nach englischem Insolvenzrecht erfolgt eine Restschuldbefreiung spätestens nach 12 Monaten. Grundlage für die Restschuldbefreiung nach 12 Monaten, auch für „Deutsche“, bildet die EuGH-Rechtsprechung und das BGH-Urteil vom 18. 9. 2001, mit dem Aktenzeichen: IX ZB 51 / 00. Der Leitsatz des BGH-Beschlusses lautet:
Wenn sich ein deutscher Staatsangehöriger ins Ausland begibt und sich dort einem Verfahren zur Restschuldbefreiung unterwirft, welches den Regelungen der deutschen InsO, insbesondere in Bezug auf die Vermögensverwertung, grundsätzlich entspricht, so ist eine dort erteilte Restschuldbefreiung auch im Inland anzuerkennen. Die im Ausland ( hier: England ) geltenden Fristen zur Erlangung der Restschuldbefreiung müssen nicht den relativ langen Fristen der deutschen InsO entsprechen. BGH, Beschluß vom 18. 9. 2001 – IX ZB 51 / 00
Die Europäische Insolvenzordnung (EuInsVO) Nr. 1346/2000, gültig seit dem 31.05.2002, regelt:
Art. 3 (1) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.
Art. 5 (1) Das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners – sowohl an bestimmten Gegenständen als auch an einer Mehrheit von nicht bestimmten Gegenständen mit wechselnder Zusammensetzung – die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates befinden, wird von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt.
Art. 16 (1) Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates wird in allen übrigen Mitgliedsstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist.
Art. 17 (1,2) Die Eröffnung eines Verfahrens nach Art. 3 Abs. 1 entfaltet in jedem anderen Mitgliedsstaat, ohne daß es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, sofern diese Verordnung nichts anderes bestimmt und so lange in diesem anderen Mitgliedsstaat kein Verfahren nach Art. 3 Abs. 2 eröffnet ist. Die Wirkungen eines Verfahrens nach Art. 3 Abs. 2 dürfen in den anderen Mitgliedsstaaten nicht in Frage gestellt werden.
Art. 25 (1) Die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichtes, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 anerkannt wird, sowie ein von einem solchen Gericht bestätigter Vergleich werden ebenfalls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt.
Art. 40 (1) Sobald in einem Mitgliedsstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, unterrichtet das zuständige Gericht dieses Staates oder der von diesem Gericht bestellte Verwalter unverzüglich die bekannten Gläubiger, die in den anderen Mitgliedsstaaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz haben.
Art. 42 (1) Die Unterrichtung nach Art. 40 erfolgt in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Staates der Verfahrenseröffnung.
-Kann ich das englische Insolvenzverfahren betreiben, wenn ich in Deutschland bereits ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet habe?
Nein, das ist leider nicht möglich
-Kann ich das englische Insolvenzverfahren betreiben, wenn ich in Deutschland eine E.V. (eidesstattliche Versicherung) abgegeben habe?
Ja.
-Wann kann das Verfahren in England eingeleitet werden?
Formal rechtlich müssen Sie bereits 6 Monate und einen Tag Ihre Ansässigkeit in England haben. Allerdings zeigt die Praxis, dass das englische Insolvenzgericht wesentlich früher annimmt, sofern erkennbar ist, dass der Lebensmittelpunkt in den nächsten Jahren in England sein wird (Wohnung in England, Arbeitsvertrag in England oder Selbständigkeit,NI- Nummer und NHS, Konto in England,Schwerpunkt der persönlichen und beruflichen Interessen,“die Zelte sind in Deutschland abgebrochen“)
-Was mache ich in der Zeit bis zur Einleitung des Insolvenzverfahrens in England?
Es gilt das Prinzip der „gerichtlichen Zuständigkeit“. Keine gerichtliche Zuständigkeit gibt es nicht. Wenn Sie in Deutschland keine „Ladefähige“/“zustellbare Postadresse“ mehr haben (Abmeldung beim deutschen Einwohnermeldeamt!) und nach England umziehen, ist die Zuständigkeit in England. Nach allgemeiner Rechtsauffassung gilt somit englisches Recht. Gehen Sie hierzu bitte zum Einwohnermeldeamt und teilen Sie mit, dass Sie dauerhaft nach London umziehen werden. Wenn man Sie nach der neuen Adresse fragt, geben Sie an, dass Sie diese nicht kennen, Sie werden zunächst einmal in Hotels und Pensionen unterkommen. Die Behörde muss Sie auf jeden Fall abmelden, auch wenn Sie keine neue konkrete Adresse angeben können.
-Kann ich meine Wohnung in Deutschland behalten?
Formalrechtlich lässt sich darüber trefflich streiten, sofern diese nicht in einem ständig nutzungsbereiten Zustand ist. Die Rechtspraxis zeigt jedoch, das i.d.R. davon auszugehen ist, dass der Schuldner in Deutschland keine Wohnung mehr innehaben darf. Es darf keine „ladefähige Adresse“ bestehen. Notfalls muss der „Mieter“ im Mietvertrag geändert werden.
-Wie lange und oft muss ich in England anwesend sein, damit das Insolvenzverfahren nicht gefährdet wird?
Hier wird an dem „steuerrechtlichen Lebensmittelpunkt“ angeknüpft“. Das bedeutet, mindestens 51% des Jahres in England Ansässig sein, notwendigerweise nicht an einem Stück. Das Verfahren dauert ca. 12 Monate, zzgl die besagten 6 Monate, also insgesamt mindestens 18 Monate.
-Kann die Familie in Deutschland bleiben?
Diese Fragestellung ist juristisch etwas komplex. Wenn die Ehefrau/der Ehemann für Verbindlichkeiten nicht haften (z.B. als Bürge für ein Darlehn), kann der Ehepartner in Deutschland bleiben. Allerdings gibt es ein Urteil des französischen Gerichts, wobei die Ehefrau nicht im Elsass ansässig war und die Kinder bei der Großmutter in Deutschland lebten. Das französische Gericht lehnte den Insolvenzantrag ab, da es die maßgeblichen privaten Interessensschwerpunkte nicht in Frankreich/Elsass sah. In England wird allerdings vorwiegend auf den „beruflichen Interessensschwerpunkt“ abgezielt. U.u. kann es auch Probleme wegen der „ladenfähigen Adresse in Deutschland“ geben, wenn die Ehefrau z.B. die alte Wohnung beibehält. Diese Thematik sollte ind. mit einem Anwalt besprochen werden.
-Muss eine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden?
Ja. Zunächst müssen Sie Ihren Wohnsitz nach England verlagern,also eine Wohnung anmieten. Zur Untermiete ist erlaubt, sofern Untermietvertrag und zur ständigen Nutzung eingerichtet. Sie müssen eine NI-Nummer (Steuernummer) und NHS (Sozialversicherungsnummer) beantragen. Für die Beantragung der NHS findet ein Interview bei der zuständigen Behörde statt. Parallel muss ein Konto bei einer englischen Bank eröffnet werden und Sie müssen nachweisen, dass Sie einer Beschäftigung in England nachgehen oder Selbständig sind.
-Rückzug nach Deutschland, nachdem das englische Insolvenzgericht das Verfahren eröffnet hat
Gemäß BGH Urteil und EU-Rechtsprechung bleibt „das“ Insolvenzgericht zuständig, dass das Insolvenzverfahren eröffnet hat, selbst dann, wenn der Schuldner nachfolgend seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes EU-Land verlagert! Mithin können Sie sogar nach Deutschland zurück, sobald das Insolvenzverfahren in England eröffnet wurde! Sie benötigen aber in England weiterhin eine zustellbare Postadresse und müssen für den Insolvenzverwalter telefonisch erreichbar sein bzw. Ihr gesetzlicher Vertreter. Allerdings empfehlen wir eine solche Verfahrensweise nicht. Wir empfehlen den Beibehalt des Lebensmittelpunktes in England bis zur Restschuldbefreiung.
-Gibt es eine Null-Insolvenz?
Ja. Sie müssen aber Ihre Lebenshaltungskosten in England abdecken können. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in London beginnt die Gehaltspfändung erst ab einem verfügbaren Einkommen von 1.500 Pfund.
-Wieso Limited gründen?
Im Grunde genommen bestehen verschiedene Möglichkeiten: Sie gehen in England einer Beschäftigung nach (Angestelltenvertrag oder Freiberuflich bei einem englischen Unternehmen). Aus dem Einkommen ergibt sich dann ein pfändbarer Betrag für den Insolvenzverwalter. Es bleibt Ihnen also nur der nicht-pfändbare Anteil. Die Alternative wäre die Gründung einer englischen Limited mit Treuhand-Shareholder oder Sie stellen einen Shareholder. Mithin ist das Vermögen der Limited nicht pfändbar, sondern nur Ihr Gehalt als Angestellter der Limited. Ein weiterer Vorteil wäre, dass Ihnen die Limited als juristische Person bestimmte Aufwendungen erstattet oder Z.B. einen Firmenwagen zur Verfügung stellt. Auch kann die englische Limited z.B. eine Repräsentanz oder Niederlassung in Deutschland installieren.
-Was ist mit Deutschen Immobilien, die dem Schuldner gehören?
Bei unbeweglichen Vermögen besteht die Gefahr der Eröffnung eines Sekundär- Insolvenzverfahrens in Deutschland. Mithin kann eine in Deutschland belegende Immobilie verwertet werden. Hier bestehen verschiedene Vermeidungsstrategien, die Sie mit unseren Anwälten besprechen sollten. Es gilt folgender Grundsatz: Der Schuldner sollte im Rahmen des englischen Insolvenzverfahrens in Deutschland vermögenslos sein.
-Wie kann denn das englische Insolvenzgericht oder die deutschen Gläubiger feststellen, dass ich real meine Ansässigkeit in England habe?
Natürlich fördern wir keine illegalen Handlungen. Aber jeder weiss,dass die Grenzen in der EU „offen sind“. Man muss ja nicht von England nach Deutschland fliegen. Es gibt auch „Routen“ per Schiff und Auto oder man fliegt von Deutschland nach Dänemark und dann mit dem Auto nach Deutschland. „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Mehr können und wollen wir an dieser Stelle nicht ausführen. Sie müssen für den Insolvenzverwalter aber immer erreichbar sein. Schon aus diesem- und anderen Gründen- ist es mehr als ratsam, einen Bevollmächtigten (englischer Anwalt) zu benennen, der für Sie Handlungs- und Vertretungsvollmacht besitzt.
-Ich kann kein englisch, kann ich ein englisches Insolvenzverfahren dennoch realisieren?
Ja, aber natürlich nur mit unserer Hilfe. -Warum ist es besser, die EU-Insolvenz über England zu durchlaufen als über Frankreich?
Weil das Verfahren in England einfacher ist und billiger.
Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren ein regelrechter Insolvenztourismus nach Frankreich entwickelt hat.
Das französische Insolvenzverfahren ist aufgrund Spezialgesetzen nur im Elass und Lothringen möglich, also räumlich stark begrenzt und mit erheblicher sozialer Kontrolle.
Erfahrungsgemäß sind die französischen Gerichtsvollzieher SEHR misstrauisch gegenüber Deutschen mit Schulden.
Das Verfahren in Frankreich ist also grundsätzlich möglich, der Lebensmittelpunkt muss aber hieb- und stichfest sein.
-Wie sicher ist die erfolgreiche Entschuldung mit der EU-Insolvenz in England?
Der Erfolg einer Restschuldbefreiung über das englische Insolvenzverfahren ist genauso sicher wie das deutsche und liegt damit fast bei 100%.
Voraussetzung ist natürlich, dass Sie wissen, wie das Verfahren abläuft und worauf es ankommt, denn als EU-Bürger im englischen Insolvenzverfahren gelten Sie nach wie vor als Exot.
Das heißt, Sie werden nicht einfach durch gewunken, sondern der Insolvenzrichter sieht etwas genauer hin. Insbesondere wird er die Voraussetzung: Lebensmittelpunkt in England“ überprüfen.
Aber wie bereits gesagt: Wenn man weiß, worauf es ankommt, ist die Aussicht auf schnelle Restschuldbefreiung kein Problem.
-Bin ich nach der Abmeldung aus Deutschland staatenlos?
Als ersten Schritt müssen Sie sich aus Deutschland abmelden. Gehen Sie hierzu bitte zum Einwohnermeldeamt und teilen Sie mit, dass Sie dauerhaft nach London umziehen werden.
Wenn man Sie nach der neuen Adresse fragt, geben Sie an, dass Sie diese nicht kennen, Sie werden zunächst einmal in Hotels und Pensionen unterkommen. Die Behörde muss Sie auf jeden Fall abmelden, auch wenn Sie keine neue konkrete Adresse angeben können.
Staatenlos werden Sie nicht, Sie bleiben Deutscher Staatsbürger mit allen bekannten Rechten.
-Kann ich während der EU-Insolvenz in England meine Krankenversicherung behalten?
Ja, Sie können Ihre private Krankenversicherung behalten und das empfehlen wir Ihnen auch.
Während Ihres Aufenthaltes in England können Sie sich allerdings auch dort versichern, zu äußerst günstigen Tarifen.
Das für Sie als angestellter Arbeitnehmer unentgeltlich soziale Krankenversicherungssystem wollen wir Ihnen aufgrund der bedenklichen Qualität allerdings nicht empfehlen.
-Wie wird das Insolvenzverfahren in England in Gang gesetzt?
Das Gericht eröffnet das Insolvenzverfahren gegen eine Privatperson aufgrund eines Insolvenzantrages. Antragsberechtigt ist:
- die verschuldete Person selbst
- oder jeder Gläubiger mit einer Forderung über £750.
Bei einem Eigenantrag sind die gesetzlich vorgeschriebenen Formblätter zu verwenden. Dieser beinhaltet insbesondere einen umfangreichen Fragebogen zur Vermögenssituation und den privaten Verhältnissen.
-Wie hoch sind die Verfahrensgebühren des Insolvenzgerichts?
Sie müssen eine Gerichtsgebühr in Höhe von 140,00 GBP einzahlen sowie einen Betrag von 310 Pfund als Vorschuss für die Kosten des Insolvenzverwalters.
Die Gerichtskosten sind bei der Gerichtskasse vor Abgabe des Insolvenzantrages einzuzahlen.
-Was geschieht, nachdem der Insolvenzantrag bei der Antragsstelle in England eingereicht worden ist?
Nachdem Sie den Insolvenzantrag abgegeben haben, kommt es zu einem Anhörungstermin mit dem Insolvenzrichter. Dieser überprüft neben den üblichen Voraussetzungen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens insbesondere, ob Sie Ihren Lebensmittelpunkt in der Zuständigkeit des englischen Gerichts haben. Üblicherweise dürfte das Interview in wenigen Minuten erledigt sein. Eine gründliche Vorbereitung wird dennoch dringend empfohlen.
Der zweite Anhörungstermin findet wenige Wochen später mit dem staatlichen Insolvenzverwalter statt. Der staatliche Insolvenzverwalter ist Justizbeamter gleich einem deutschen Rechtspfleger.
In diesem Anhörungstermin wird Ihr Antrag durchgegangen und gegebenenfalls ergänzt. Möglicherweise werden Sie zusätzlich zu Ihren Schulden und Vermögenswerten fragen und warum es zur Zahlungsunfähigkeit gekommen ist.
Auch für diesen Termin gilt es, gut vorbereitet zu sein. Fehlen Unterlagen oder lassen Sie Fragen unbeantwortet, riskieren Sie einen Folgetermin.
-Was geschieht mit meinem Gehalt während der Insolvenz in England?
Ab einem gewissen Einkommen müssen Sie Zahlungen an die Gläubiger leisten. Pfändungsgrenzen wie in Deutschland gibt es in England nicht. Vielmehr werden diese mit dem Insolvenzverwalter ausgehandelt und individuell festgelegt.
Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in London beginnt die Gehaltspfändung frühestens ab 1.500 Pfund.
Werden Sie zu Zahlungen an die Gläubiger veranlasst, weil Ihr Einkommen die Grenzen übersteigt, gilt die Zahlungspflicht über die Erteilung der Restschuldbefreiung hinaus insgesamt drei Jahre.
-Welche Forderungen sind bei der Insolvenz in England von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen?
Genauso wie im deutschen Recht alle Forderungen aus unerlaubter Handlung wie zum Beispiel: Schadensersatz aufgrund Körperverletzung, Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, Ordnungswidrigkeiten wegen Falschparkens.
Bei Unterhaltsrückständen steht die Erteilung der Restschuldbefreiung im Ermessen des Gerichts. Es ist eine ausdrückliche Zustimmung erforderlich.